DBV Bundesverband
Immer mehr Strecken enden am Prellbock: Unbezahlbare Infrastrukturanschlüsse
Wirft man den Blick auf eine Streckenkarte der DB, so kann man das
schon (stark gelichtete) Bahnnetz Deutschlands bewundern. Magis-tralen
verbinden die großen Zentren untereinander, rechts und links zweigen
Nebenstrecken ab.
Vergleichbar mit dem Straßennetz können zum Beispiel Güterzüge
freizügig über diese Strecken verkehren, um ihr Ziel auf dem
günstigsten Weg zu erreichen. Dieses klingt nun wirklich sehr banal,
doch das Netz ist nur deshalb ein solches, weil unzählige Verknüp-fungs-punkte
zu den Nebenstrecken existieren, die im Folgenden als Infrastrukturanschlüsse
bezeichnet werden sollen.
Ein Infrastrukturanschluss besteht bei abzweigenden Bahnen in der Regel
aus einer Verbindungsweiche, sicherungstechnischen Einrich-tungen (zum
Beispiel Signal- und Stellwerkstechnik) sowie er-gän-zen-den Komponenten
(zum Beispiel Gleisabschnitte).
Leider mussten in der Vergangenheit unzählige Infrastrukturan-schlüsse
aufgegeben werden bzw. konnten bei neuen Strecken nicht geschaffen werden.
Die Gründe hierfür sind vielfältig. Einleitend soll ein
(fiktives), allerdings durchaus typisches Beispiel ver-deut-lichen, wie
sich die Situation aus Sicht der „kleinen Strecken-betreiber“ darstellt:
Ein Beispiel
Nehmen wir den Fall an, eine nichtbundeseigene (Privat-)Bahn (NE-Bahn)
übernimmt von der DB Netz AG die zwölf Kilometer lange still-le-gungsgefährdete
Nebenstrecke von B-Stadt nach C-Dorf. Über B-Stadt verläuft eine
Hauptstrecke der DB Netz.
Der Bahnhof in B-Stadt verfügt unter anderem über eine Weiche,
über die die Nebenstrecke angebunden ist. Außerdem gibt es an
der Neben-bahn ein Einfahrsignal, dass an das alte Hebelstellwerk des Bahnhofs
angeschlossen ist. Dort schieben zur Zeit noch drei Stellwerkskräfte
Dienst. Im Jahr 2005 soll das alte Stellwerk abgerissen und der Bahn-hof
über ein entferntes Computerstellwerk ferngesteuert werden. Zwischen
dem Einfahrsignal und der Weiche liegen 350 Meter Gleis sowie ein beschrankter
Bahnübergang.
Die NE-Bahn möchte die Nebenstrecke wieder „entwickeln“, Kunden
im Güterverkehr zurückgewinnen, und der Tourismusverband des
Land-kreises ist zumindest bereit, einige Sonderzüge zwischen dem
Bahnhof B-Stadt und dem sehenswerten C-Dorf zu finanzieren. Damit
all dieses überhaupt realisiert werden kann bedarf es jedoch des Infra-struk-turanschlusses
in B-Stadt.
Die Kosten
Die zuständige Niederlassung der DB Netz AG unterbreitet der NE-Bahn
ein Angebot über den Abschluss eines Infrastrukturanschlussver-tra-ges.
In diesem Vertrag sichert sie die Vorhaltung der für den Infra-struk-turanschluss
(vorhandenen) Weichen, Signale usw. gegen Zahlung eines jährlichen
Entgeltes zu. Die DB Netz bringt im Einzelnen fol-gen-de jährliche
Kosten in Ansatz (es handelt sich hierbei um will-kürlich gewählte
Werte, die Kostensumme entspricht jedoch durchaus den in der Praxis auftretenden
Größenordnungen) :
Ferngestellte Weiche für Zugfahrten | 9.000,00 Euro |
350 Meter Gleis | 5.189,61 Euro |
Beschrankter Bahnübergang | 2.556,46 Euro |
Einfahrsignal | 300,00 Euro |
Anteilige Kosten für die Schrankenbedienung | 3.000,00 Euro |
Summe | 20.046,07 Euro |
Aus Sicht der NE-Bahn ist ein derartig hoher Betrag angesichts der
noch schwachen Nutzung der Nebenstrecke nicht finanzierbar. Sie wendet
sich daher an die DB Netz mit der Bitte, die Kosten doch noch einmal zu
überprüfen bzw. im Interesse der Sache doch zu verringern. Diese
lehnt Verhandlungen über ihre Preisbildung jedoch mit Verweis auf
„unveränderliche Vorgaben der Zentrale“ ab.
Aufgrund der geplanten Umstellung des Bahnhofs auf Computerstell-werks-technik
verlangt die DB Netz AG zusätzlich, dass die NE-Bahn anteilig die
Kosten der Umstellung zu übernehmen habe, anderenfalls werde die Nebenstrecke
„abgebunden“. Per Einschreiben erhält die NE-Bahn eine Bau- und Finanzierungsvereinbarung
über 135.000 Euro, die sie zu unterschreiben habe. Auch diese „Offerte“
der DB Netz AG muss die NE-Bahn ablehnen, da die Erlöse des Streckenbetriebs
eine derartig umfangreiche Kostenbeteiligung nicht zulassen.
In der Konsequenz wird die Verbindung zum Bahnhof B-Stadt auf-ge-geben.
Die Pläne zur Reaktivierung des Güterverkehrs kann die NE-Bahn
ad acta legen. Für den Personenverkehr baut sie einen kleinen Behelfsbahnsteig
am Stadtrand, so dass zumindest einige Sonderzüge noch verkehren können.
Das Beispiel zeigt sehr deutlich, dass aus Infrastrukturanschlüssen
ganz wesentliche finanzielle Belastungen erwachsen können. Nach-fol-gend
soll jedoch kritisch untersucht werden, ob die gegenwärtige Anschluss-Praxis
mit den gesetzlichen Regelungen konform läuft und inwieweit Regelungsbedarf
besteht.
In der Eisenbahngesetzgebung wird das Thema „Infrastrukturanschluss“
stiefmütterlich behandelt. Eine althergebrachte Regelung in §
13 des Allgemeines Eisenbahn-Gesetz findet der Leser im Kasten rechts unten
auf dieser Seite. Diese Regelung bezieht sich, wenngleich explizit nicht
so erkennbar, wohl auf die öffentlichen Bahnen. Somit ist zumindest
ein gewisses Anrecht auf einen Infrastrukturanschluss gegeben, wenngleich
die Formulierung schwammig und dehnbar ist. Leider gibt es kaum Streitfälle,
die über das Eisenbahn-Bundesamt oder gerichtlich entschieden wurden,
auch Kommentare dazu sind nicht bekannt.
Bezüglich der nichtöffentlichen Bahnen gewähren einige
Landeseisen-bahn-gesetze den Anschlussbahnen ein Anschlussrecht. Dort,
wo es noch kein Landeseisenbahngesetz gibt, zum Beispiel im Land Brandenburg,
kann der Anschluss der nichtöffentlichen Bahnen (zum Beispiel Firmengleisanschlüsse)
nur auf der Basis freiwilliger Verhandlungen erfolgen.
Was bedeutet nun der Grundsatz im AEG, der Anschluss habe unter „billiger
Regelung der Bedingungen und der Kosten“ zu erfolgen? Beide Infrastrukturbetreiber
müssen die Bedingungen und die Kosten billigen. Dieses bedeutet nach
Auffassung des DBV, dass ein weitreichender Verständigungs- und Einigungsprozess
zwischen beiden Infrastrukturbetreibern in Gang gesetzt werden muss.
Einseitig vorgegebene verbindliche Vertragsmuster passen genauso wenig
in dieses Schema wie das unweigerliche Verlangen zur Zahlung von jährlichen
Pauschbeträgen, die keine tatsächlichen und offenzulegenden Kosten
sondern kaum nachvollziehbare und als überhöht einzustufende
Leistungsentgelte darstellen. So ist jedoch leider die gegenwärtige
Praxis der DB Netz AG. Die als Kosten ausgewiesenen Positionen werden nach
dem Anlagenpreissystem (APS) berechnet. Dieses APS ist jedoch eine Preistafel
die nur dort herangezogen werden darf, wo die DB Leistungsentgelte frei
bestimmen darf, etwa bei der Vermietung von Abstellgleisen. So schlagen
sich gegenwärtig bereits abgeschriebene Weichen mit den vollen Entgeltsätzen
in den Infrastruktanschlussverträgen nieder.
Zudem muss die Frage gestellt werden, wer eigentlich die Kosten eines
Infrastrukturanschlusses zu tragen hat. Der Grundsatz der DB Netz AG lautet
hier: Wer sich anschließen will, muss auch alles bezahlen. Folgerichtiger
wäre aber eigentlich ein Interessenprinzip walten zu lassen. So profitiert
die DB Netz ja in aller Regel durch Zugverkehre, die über einen Infrastrukturanschluss
geführt werden, indem sie Trassenerlöse im Hauptnetz erzielt.
Es wäre dann ja auch recht und billig, die Kosten des Infrastrukturanschlusses
zwischen beiden Infrastrukturbetreibern aufzuteilen. Es soll hier allerdings
nicht unerwähnt bleiben, dass die DB Netz einer solchen Kostenverteilung
seit knapp einem Jahr bedingt zustimmt, allerdings nur wenn eine bestimmte
und von ihr fallweise festgelegte Marge an jährlichen Zügen über
den Infrastrukturanschluss verkehren. Diese Vorgehensweise ist für
die betroffenen Vertragspartner in der Regel nicht zufriedenstellend.
Aus Sicht des DBV hat die gegenwärtige Praxis bereits großen
Schaden im Bahnnetz Deutschlands angerichtet. Gerade im Zuge der Ausbauvorhaben
„Verkehrsprojekte Deutsche Einheit“ und den Vorhaben nach dem Bundesschienenwegeausbaugesetz
sowie der schon erwähnten Einführung neuer Computerstellwerkstechnik
ist es reihenweise zur Abbindung (und oftmals auch Stilllegung) von Nebenstrecken
und Gleisanschlüssen gekommen. Soll nicht noch mehr Schaden angerichtet
werden, so ist die vollkommen unzureichende Regelung im § 13 AEG zu
ersetzen oder zumindest durch eine Verordnung zu untersetzen.
Leider umfasst die jetzt veröffentlichte Novelle zum AEG keine
Veränderungen zum § 13. Die oben genannte Forderungen sollten
daher in die nächste AEG-Novelle einfließen, die zur Zeit bereits
erarbeitet wird. Bis dahin muss verstärkt im Sinne der bestehenden
Regelung verfahren werden:
• Echte und nachweisbare Kostenberechnung statt pauschaler APS-Entgelte.
• Freies Vereinbaren der Bedingungen, Abkehr von Musterverträgen.
• Anwendung kostengünstiger Techniken statt unbezahlbarer elektronischer
Stellwerke, die nur für die DB Netz einen Rationalisierungseffekt
bringen, nicht jedoch für die NE- und Anschlussbahnen.
§ 13 Allgemeines Eisenbahngesetz
Anschluß an andere Eisenbahnen
(1) Jede öffentliche Eisenbahn hat angrenzenden öffentlichen
Eisenbahnen mit Sitz in der Bundesrepublik Deutschland den Anschluß
an ihre Eisenbahninfrastruktur unter billiger Regelung der Bedingungen
und der Kosten zu gestatten. Im übrigen gilt § 14.
(2) Im Falle der Nichteinigung über die Bedingungen des Anschlusses
sowie über die Angemessenheit der Kosten entscheidet, wenn eine Eisenbahn
des Bundes beteiligt ist, das Eisenbahn-Bundesamt, in den übrigen
Fällen die zuständige Landesbehörde.