IGEB Stadtverkehr
Die neue Spar-Klasse bei der BVG: Nur noch 26 Sitzplätze im „Citaro“
Ende August 2002 begann die Auslieferung der im letzten Jahr von der
BVG bestellten neuen Eindeckbusse. Bis zum Jahresende sollen über
200 neue Niederflur-Eindecker dazu beitragen, den überalterten BVG-Busbestand
zu verjüngen und den chronischen Fahrzeugmangel zu beheben.
Alle neuen Fahrzeuge sind durch jeweils zwei Rampen an den vorderen
beiden Türen behindertengerecht ausgestattet und
nutzen mit einer Breite von 2,55 Meter die neuen gesetzlichen Möglichkeiten
voll aus. Sie verfügen über Klimaanlage, „Kneeling“, CRT-Filter,
RBL-gesteuerte Fahrgastinformations-Einrichtungen und viele weitere Einrichtungen,
die Techniker und Fahrgäste erfreuen. Aber sie weisen auch einen deutlichen
Mangel auf – nämlich viel zu wenige Sitzplätze.
Die Gesamt-Busbestellung der BVG teilt sich für das Jahr 2002
wie folgt auf: 166 Wagen vom Typ Mercedes-Benz „Citaro“ (davon 96 „normale“
mit 12 Meter und 70 dreiachsige Citaro-L mit 15 Meter Länge); 37 Wagen
vom Typ Volvo 7000 (12 Meter) und vier Wagen des Typs „Urbino“ vom polnischen
Hersteller Solaris (je zwei mit 12 Meter und 15 Meter Länge). Auch
die 12 Meter-Wagen weisen jeweils drei (Doppel-)Türen auf, wobei auch
bei allen Typen an der dritten Tür ein Niederflur-Einstieg realisiert
wurde.
Während bei den zuvor ausgelieferten Bauserien eine Folge des
dritten Niederflureinstiegs war, dass im Heckbereich der Busse mehrere
Stufen im Innenraum überwunden werden mussten (um gewissermaßen
auf dem Motor sitzen zu können), ist bei den neuen Fahrzeugen dieses
nicht erforderlich, weil der Motor nunmehr stehend im Heckbereich angeordnet
wurde. Negative Folge davon allerdings ist, dass das Sitzplatzangebot dafür
erneut verringert werden musste. Während die neuen Volvos immerhin
noch 29 Sitzplätze aufweisen, stellen die neuen „Citaros“ in der BVG-Standard-Version
(12 Meter) mit nur noch 26 Sitzplätzen einen Negativ-Rekord auf! (Das
konnte wohl auch die Zulassungsstelle kaum glauben und zählte – damit
es wenigstens etwas freundlicher klingt – offenbar den Fahrerplatz noch
mit, weshalb die offizielle Sitzplatzzahl immer mit 27 angegeben wird.)
Wir wollen hier nicht um einen Sitzplatz feilschen, es geht vielmehr
um die Größenordnung des Sitzplatzverlustes gegenüber den
bisher beschafften Fahrzeugtypen. Es stellt sich die Frage, ob die Einbuße
von mehr als einem Drittel der Sitzplätze gegenüber früheren
Bau-serien als Preis für den 100 Prozent-Niederflur-Bus aus Fahrgastsicht
sinnvoll ist. Wir meinen: Nein, denn ein (gut erreichbarer und bequemer!)
Sitzplatz für jeden Fahrgast sollte als Grundregel einer annehmbaren
Beförderung gelten. Stehplätze sind eine Notlösung und nur
bei kurzfristig auftretenden hohen Fahrgastmengen über kürzere
Entfernungen akzeptabel. Dies schreibt auch der Berliner Nahverkehrsplan
vor (vergleiche Signal 3/2002).
Betrachtet man die jüngere Geschichte von 12 Meter-Standard-Bussen
bei der BVG, so wurden Anfang bis Mitte der neunziger Jahre ausschließlich
Niederflurbusse beschafft, die zweitürig und an der ersten Tür
mit einem Hublift ausgerüstet waren. Diese von MAN und Mercedes Benz
gelieferten Serien wiesen 38 Sitzplätze auf, erfüllten die Kriterien
der Beförderung mobilitätsbehinderter Personen und sind auch
heute noch im gesamten Stadtgebiet im Einsatz. Ab Mitte der neunziger Jahre
wurden auch dreitürige Standard-Wagen angeschafft, um die Haltestellenaufenthaltszeiten
durch zügigeren Ein- und Ausstieg zu verkürzen. Dafür wurde
eine Verringerung des Sitzplatzangebotes in Kauf genommen, mehr als 30
Sitzplätze wurden aber auch in verschieden ausfallenden Variationen
immer erreicht. Die weiteren Neuentwicklungen der 12 Meter-Wagentypen zeichneten
sich dadurch aus, dass im Heckbereich bis zur Hinterachse von der Quer-
zur Längsbestuhlung übergegangen wurde, angeblich um Vandalismusschäden
zu vermindern, was wiederum Sitzplätze kostete. Außerdem wurde
auch die dritte Tür in den Niederflurbereich einbezogen – mit der
negativen Folge, dass die letzte Sitzreihe und die der Tür gegenüberliegende
Längssitzbank nur über Stufen erreichbar ist und ihr Erreichen
vom Fahrgast im fahrenden Bus schon einiges Geschick fordern. Busse dieser
Bauart weisen erstmals weniger als 30 Sitzplätze auf, 29 sind es im
Regelfall.
Ein Drittel weniger Sitzplätze
Bei den eingangs beschriebenen neu ausgelieferten Fahrzeugen mit dem
„stehenden“ Motor fallen gegenüber den Vorgängerserien nun also
nochmals mehrere Sitzplätze weg. Und so weisen die neuen Mercedesbusse
insgesamt nur noch 26 Sitzplätze auf, von denen im übrigen nur
ganze sieben Sitzplätze podestfrei erreichbar sind. Somit haben
die schönen neuen „Citaros“ fast ein Drittel weniger Sitzplätze
als die vergleichbaren zweitürigen Vorgängertypen aus den 90er
Jahren! Eine Ausweitung des Steh- und Stellplatzangebotes in der Wagenmitte
ist nicht erfolgt und ohne weitere Sitzplatzreduzierung auch nicht möglich.
Eine Beschleunigung der Busumläufe durch einen schnelleren Fahrgastwechsel
infolge der dritten stufenlosen Tür ist ebenfalls kaum wahrnehmbar.
Fazit: Der Vorteil des Niederflur-Einstiegs an allen Türen ist durch
eine zu starke Verringerung des Sitzplatzangebotes teuer erkauft worden,
die Verhältnisse stimmen nicht mehr.
Die Frage stellt sich, ob eine dritte Tür bei (12 Meter-)Standard-Bussen
tatsächlich nutzbringend ist? Ein durch schnelleren Fahrgastwechsel
an den Haltestellen wirklich relevanter Fahrzeitgewinn entsteht kaum. Dies
wird nicht zuletzt durch den gemischten Fahrzeugeinsatz von zwei- und dreitürigen
Fahrzeugen auf praktisch allen BVG-Buslinien von der BVG selbst zum Ausdruck
gebracht. Gerade die dritte Tür wird im Regelfall nur von sehr wenigen
Fahrgästen benutzt. Lediglich an wenigen zentralen Haltestellen, mit
hohem Fahrgastwechsel macht die dritte Tür einen Sinn.
Es gibt aber nur wenige Linien, die an mehreren derartigen zentralen
Haltestellen vorbeiführen und somit ist auch die Notwendigkeit einer
dritten Tür in den allermeisten Fällen nicht wirklich gegeben.
Dagegen geht die erheblich höhere Sitzplatzanzahl bei zweitürigen
Standard-Bussen aus den obigen Zahlen deutlich hervor. So setzt zum Beispiel
ein privates Berliner Busunternehmen eine zweitürige 12 Meter-Version
des Citaros mit 33 Sitzplätzen ein, bei der die zweite Tür um
eine Sitzreihe nach hinten verschoben wurde und somit unmittelbar vor der
Hinterachse liegt, so dass der „gefangene Bereich“ im hinteren Wagenteil
um eine Sitzreihe verkürzt ist. Alternativ bietet sich aber auch eine
in skandinavischen Ländern gebräuchliche Variante an: Die Busse
sind dort dreitürig: Die dritte, mit Stufen versehene Tür weist
aber nur einen Flügel auf. Auch so könnten wieder ein paar Sitzplätze
gewonnen werden.
100 % Niederflur bedeutet weniger (Sitz-)Komfort
Aber selbst wenn die BVG trotz allem zukünftig am Prinzip der
dritten (Doppel-)Tür auch beim 12 Meter-Eindecker festhalten sollte:
Die jetzt angeschaffte Citaro-Version des 100%-Niederflur-Wagens mit drei
stufenlosen Türen kostet deutlich zu viele Sitzplätze, ohne dass
es für den Fahrgast wirklichen Nutzen bringt. Zwar ist es natürlich
immer zu begrüßen, an allen Türen stufenlos einsteigen
zu können; aber wirklich notwendig ist es nicht. Rollstuhlfahrer benötigen
die an den vorderen Türen befindlichen Rampen. Die anderen mobilitätsbehinderten
Fahrgäste können problemlos an der ersten oder zweiten Tür
einsteigen und befinden sich dann auch direkt in dem vorrangig für
Behinderte ausgewiesenen Sitzplatzbereich. Niemand dieser Personengruppe
muss die dritte Tür benutzen. Für die glücklicherweise in
der Mehrzahl mobilen Fahrgäste aber wäre auch der Einstieg an
der dritten Tür über ein oder zwei Stufen problemlos und schnell
möglich. Und der beim Aus- und Einstieg erlittene geringfügige
Komfortverlust würde zugunsten von besser zugänglichen und vor
allem zusätzlichen Sitzplätzen mehr als kompensiert werden! Der
dreitürige, 100%ige Niederflurbus ist daher nicht zwingend erforderlich
und stellt für den Fahrgast keinen Komfortgewinn dar.
Die Fahrzeugindustrie bietet serienmäßig durchaus unterschiedliche
Varianten an. Der Blick auf bauartgleiche, bei anderen Verkehrsunternehmen
im Einsatz befindlichen Bussen zeigt fast immer mehr Sitzplätze als
bei den Citaros, die von der BVG jetzt beschafft worden sind. Jedenfalls
sollte auch die BVG zukünftig bei der Neubeschaffung von Fahrzeugen
darauf achten, dass 12 Meter-Eindeckerbusse ein Angebot von über 30
(gut erreichbaren und bequemen) Sitzplätzen aufweisen müssen.