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© GVE 3/2003
Th. Billik
Zeitschrift SIGNAL
SIGNAL-Ausgaben 04/2002
IGEB Stadtverkehr
Die neue Spar-Klasse bei der BVG: Nur noch 26 Sitzplätze im „Citaro“

Ende August 2002 begann die Auslieferung der im letzten Jahr von der BVG bestellten neuen Eindeckbusse. Bis zum Jahresende sollen über 200 neue Niederflur-Eindecker dazu beitragen, den überalterten BVG-Busbestand zu verjüngen und den chronischen Fahrzeugmangel zu beheben.
Alle neuen Fahrzeuge sind durch jeweils zwei Rampen an den vorderen beiden Türen behindertengerecht ausgestattet und
nutzen mit einer Breite von 2,55 Meter die neuen gesetzlichen Möglichkeiten voll aus. Sie verfügen über Klimaanlage, „Kneeling“, CRT-Filter, RBL-gesteuerte Fahrgastinformations-Einrichtungen und viele weitere Einrichtungen, die Techniker und Fahrgäste erfreuen. Aber sie weisen auch einen deutlichen Mangel auf – nämlich viel zu wenige Sitzplätze.
Die Gesamt-Busbestellung der BVG teilt sich für das Jahr 2002 wie folgt auf: 166 Wagen vom Typ Mercedes-Benz „Citaro“ (davon 96 „normale“ mit 12 Meter und 70 dreiachsige Citaro-L mit 15 Meter Länge); 37 Wagen vom Typ Volvo 7000 (12 Meter) und vier Wagen des Typs „Urbino“ vom polnischen Hersteller Solaris (je zwei mit 12 Meter und 15 Meter Länge). Auch die 12 Meter-Wagen weisen jeweils drei (Doppel-)Türen auf, wobei auch bei allen Typen an der dritten Tür ein Niederflur-Einstieg realisiert wurde.
Während bei den zuvor ausgelieferten Bauserien eine Folge des dritten Niederflureinstiegs war, dass im Heckbereich der Busse mehrere Stufen im Innenraum überwunden werden mussten (um gewissermaßen auf dem Motor sitzen zu können), ist bei den neuen Fahrzeugen dieses nicht erforderlich, weil der Motor nunmehr stehend im Heckbereich angeordnet wurde. Negative Folge davon allerdings ist, dass das Sitzplatzangebot dafür erneut verringert werden musste. Während die neuen Volvos immerhin noch 29 Sitzplätze aufweisen, stellen die neuen „Citaros“ in der BVG-Standard-Version (12 Meter) mit nur noch 26 Sitzplätzen einen Negativ-Rekord auf! (Das konnte wohl auch die Zulassungsstelle kaum glauben und zählte – damit es wenigstens etwas freundlicher klingt – offenbar den Fahrerplatz noch mit, weshalb die offizielle Sitzplatzzahl immer mit 27 angegeben wird.)
Wir wollen hier nicht um einen Sitzplatz feilschen, es geht vielmehr um die Größenordnung des Sitzplatzverlustes gegenüber den bisher beschafften Fahrzeugtypen. Es stellt sich die Frage, ob die Einbuße von mehr als einem Drittel der Sitzplätze gegenüber früheren Bau-serien als Preis für den 100 Prozent-Niederflur-Bus aus Fahrgastsicht sinnvoll ist. Wir meinen: Nein, denn ein (gut erreichbarer und bequemer!) Sitzplatz für jeden Fahrgast sollte als Grundregel einer annehmbaren Beförderung gelten. Stehplätze sind eine Notlösung und nur bei kurzfristig auftretenden hohen Fahrgastmengen über kürzere Entfernungen akzeptabel. Dies schreibt auch der Berliner Nahverkehrsplan vor (vergleiche Signal 3/2002).
Betrachtet man die jüngere Geschichte von 12 Meter-Standard-Bussen bei der BVG, so wurden Anfang bis Mitte der neunziger Jahre ausschließlich Niederflurbusse beschafft, die zweitürig und an der ersten Tür mit einem Hublift ausgerüstet waren. Diese von MAN und Mercedes Benz gelieferten Serien wiesen 38 Sitzplätze auf, erfüllten die Kriterien der Beförderung mobilitätsbehinderter Personen und sind auch heute noch im gesamten Stadtgebiet im Einsatz. Ab Mitte der neunziger Jahre wurden auch dreitürige Standard-Wagen angeschafft, um die Haltestellenaufenthaltszeiten durch zügigeren Ein- und Ausstieg zu verkürzen. Dafür wurde eine Verringerung des Sitzplatzangebotes in Kauf genommen, mehr als 30 Sitzplätze wurden aber auch in verschieden ausfallenden Variationen immer erreicht. Die weiteren Neuentwicklungen der 12 Meter-Wagentypen zeichneten sich dadurch aus, dass im Heckbereich bis zur Hinterachse von der Quer- zur Längsbestuhlung übergegangen wurde, angeblich um Vandalismusschäden zu vermindern, was wiederum Sitzplätze kostete. Außerdem wurde auch die dritte Tür in den Niederflurbereich einbezogen – mit der negativen Folge, dass die letzte Sitzreihe und die der Tür gegenüberliegende Längssitzbank nur über Stufen erreichbar ist und ihr Erreichen vom Fahrgast im fahrenden Bus schon einiges Geschick fordern. Busse dieser Bauart weisen erstmals weniger als 30 Sitzplätze auf, 29 sind es im Regelfall.

Ein Drittel weniger Sitzplätze
Bei den eingangs beschriebenen neu ausgelieferten Fahrzeugen mit dem „stehenden“ Motor fallen gegenüber den Vorgängerserien nun also nochmals mehrere Sitzplätze weg. Und so  weisen die neuen Mercedesbusse insgesamt nur noch 26 Sitzplätze auf, von denen im übrigen nur ganze sieben Sitzplätze podestfrei erreichbar sind.  Somit haben die schönen neuen „Citaros“ fast ein Drittel weniger Sitzplätze als die vergleichbaren zweitürigen Vorgängertypen aus den 90er Jahren! Eine Ausweitung des Steh- und Stellplatzangebotes in der Wagenmitte ist nicht erfolgt und ohne weitere Sitzplatzreduzierung auch nicht möglich. Eine Beschleunigung der Busumläufe durch einen schnelleren Fahrgastwechsel infolge der dritten stufenlosen Tür ist ebenfalls kaum wahrnehmbar. Fazit: Der Vorteil des Niederflur-Einstiegs an allen Türen ist durch eine zu starke Verringerung des Sitzplatzangebotes teuer erkauft worden, die Verhältnisse stimmen nicht mehr.
Die Frage stellt sich, ob eine dritte Tür bei (12 Meter-)Standard-Bussen tatsächlich nutzbringend ist? Ein durch schnelleren Fahrgastwechsel an den Haltestellen wirklich relevanter Fahrzeitgewinn entsteht kaum. Dies wird nicht zuletzt durch den gemischten Fahrzeugeinsatz von zwei- und dreitürigen Fahrzeugen auf praktisch allen BVG-Buslinien von der BVG selbst zum Ausdruck gebracht. Gerade die dritte Tür wird im Regelfall nur von sehr wenigen Fahrgästen benutzt. Lediglich an wenigen zentralen Haltestellen, mit hohem Fahrgastwechsel macht die dritte Tür einen Sinn.
Es gibt aber nur wenige Linien, die an mehreren derartigen zentralen Haltestellen vorbeiführen und somit ist auch die Notwendigkeit einer dritten Tür in den allermeisten Fällen nicht wirklich gegeben. Dagegen geht die erheblich höhere Sitzplatzanzahl bei zweitürigen Standard-Bussen aus den obigen Zahlen deutlich hervor. So setzt zum Beispiel ein privates Berliner Busunternehmen eine zweitürige 12 Meter-Version des Citaros mit 33 Sitzplätzen ein, bei der die zweite Tür um eine Sitzreihe nach hinten verschoben wurde und somit unmittelbar vor der Hinterachse liegt, so dass der „gefangene Bereich“ im hinteren Wagenteil um eine Sitzreihe verkürzt ist. Alternativ bietet sich aber auch eine in skandinavischen Ländern gebräuchliche Variante an: Die Busse sind dort dreitürig: Die dritte, mit Stufen versehene Tür weist aber nur einen Flügel auf. Auch so könnten wieder ein paar Sitzplätze gewonnen werden.

100 % Niederflur bedeutet weniger (Sitz-)Komfort
Aber selbst wenn die BVG trotz allem zukünftig am Prinzip der dritten (Doppel-)Tür auch beim 12 Meter-Eindecker festhalten sollte: Die jetzt angeschaffte Citaro-Version des 100%-Niederflur-Wagens mit drei stufenlosen Türen kostet deutlich zu viele Sitzplätze, ohne dass es für den Fahrgast wirklichen Nutzen bringt. Zwar ist es natürlich immer zu begrüßen, an allen Türen stufenlos einsteigen zu können; aber wirklich notwendig ist es nicht. Rollstuhlfahrer benötigen die an den vorderen Türen befindlichen Rampen. Die anderen mobilitätsbehinderten Fahrgäste können problemlos an der ersten oder zweiten Tür einsteigen und befinden sich dann auch direkt in dem vorrangig für Behinderte ausgewiesenen Sitzplatzbereich. Niemand dieser Personengruppe muss die dritte Tür benutzen. Für die glücklicherweise in der Mehrzahl mobilen Fahrgäste aber wäre auch der Einstieg an der dritten Tür über ein oder zwei Stufen problemlos und schnell möglich. Und der beim Aus- und Einstieg erlittene geringfügige Komfortverlust würde zugunsten von besser zugänglichen und vor allem zusätzlichen Sitzplätzen mehr als kompensiert werden! Der dreitürige, 100%ige Niederflurbus ist daher nicht zwingend erforderlich und stellt für den Fahrgast keinen Komfortgewinn dar.
Die Fahrzeugindustrie bietet serienmäßig durchaus unterschiedliche Varianten an. Der Blick auf bauartgleiche, bei anderen Verkehrsunternehmen im Einsatz befindlichen Bussen zeigt fast immer mehr Sitzplätze als bei den Citaros, die von der BVG jetzt beschafft worden sind. Jedenfalls sollte auch die BVG zukünftig bei der Neubeschaffung von Fahrzeugen darauf achten, dass 12 Meter-Eindeckerbusse ein Angebot von über 30 (gut erreichbaren und bequemen) Sitzplätzen aufweisen müssen.
 


2004-08-03
www.gve-verlag.de
Th.B.